Zum Inhalt springen
Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine De Maizière erklärt sich selbst den Krypto-Krieg

Erst feiert Innenminister de Maizière Verschlüsselung, jetzt will er den Schutz vor digitalen Angriffen aushebeln. Damit verspielt er jede politische Verlässlichkeit - und macht das Internet ein Stück unsicherer.
Innenminister de Maizière: "Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt"

Innenminister de Maizière: "Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt"

Foto: AP/dpa

Wenn man wissen will, warum die Politik ein demokratiegefährdendes Vertrauensproblem hat, warum sich nicht nur Leute an den extremen Rändern der Gesellschaft enttäuscht von der Parteiendemokratie abwenden, dann hilft ein Perspektivwechsel.

Man betrachtet das Internet in diesem Fall nicht als Kulturtechnologie, virtuelles Universum oder Heimat- sondern als politischen Indikator. Denn die digitale Gesellschaft ist in so rascher, tiefgreifender Entwicklung, dass die Reaktionen der Politik darauf vielsagend sind. Das gilt auch und besonders für Innenminister de Maizière, einen klugen, gebildeten Mann, verlässlich, bestimmt und meist klar sprechend. Bis ins Detail das Gegenteil des Innenministers davor also. Aber genau diese intelligente Ernsthaftigkeit macht das Folgende so besorgniserregend.

153 Tage. Auf den Tag genau fünf Monate. So lange dauert es, bis große Pläne, eherne Maximen, angepriesene Visionen der Bundesregierung sich ins Gegenteil verkehren. Nicht bloß fallen gelassen werden, sondern sich ins exakte Gegenteil verkehren. Am 20. August 2014 gaben drei Ministerien (darunter das Innenministerium) die "Digitale Agenda" heraus. Im Kapitel VI, "Sicherheit, Schutz und Vertrauen für Gesellschaft und Wirtschaft", dem Kernbereich des Innenministeriums also, steht wörtlich:

"Wir unterstützen mehr und bessere Verschlüsselung . Wir wollen Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt werden. Dazu soll die Verschlüsselung von privater Kommunikation in der Breite zum Standard werden."

Es passiert nicht oft, dass gleichzeitig drei Ministerien im Namen der Bundesregierung eine so umfassende Agenda festlegen. Übrigens ist "Agenda" Latein und bedeutet: "Was getan werden muss".

Die Aufkündigung jeder politischen Verlässlichkeit

Was aber nun stattdessen getan werden soll, hat der Innenminister am 20. Januar auf dem Internationalen Forum für Cybersicherheit erklärt: Behörden müssten befugt und in der Lage sein, "verschlüsselte Kommunikation zu entschlüsseln oder zu umgehen."

Noch einmal ein Reißschwenk auf de Maizières Digitale Agenda: "Wir wollen die Privatsphäre der Menschen und ihre Kommunikation im Internet besser schützen. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass jeder Einzelne in der Lage ist, sich selbst und seine Daten im Netz wirksam zu schützen." 153 Tage also, die zwischen zwei exakt gegensätzlichen Äußerungen des Innenministers liegen.

Das heißt auch: Egal wie groß ein Plan der Regierung inszeniert wird, irgendetwas tun zu wollen - im Zweifel ist er nichts wert. Null. Das ist nicht nur eine unterskandalisierte Kehrtwende, das ist die Aufkündigung jeder politischen Verlässlichkeit. Es handelt sich um die Gewissheit, dass die Regierung Merkel alles Anvisierte, Versprochene, Herbeivisionierte in der Sekunde ins Gegenteil verkehren wird, in der es opportun erscheint.

In diesem Fall existiert ein erkennbarer Ursprung. Es ist nicht als Zufall betrachtbar, dass der Innenminister in 153 Tagen vom Ziel Verschlüsselungsweltmeisterschaft ins Gegenteil Verschlüsselungsablehnung umschlägt.

Ein neuer "Crypto War"?

Kurz zuvor hatten der britische Premier Cameron, dessen Namen man nicht in einem Satz mit "Rechtsstaat" verwenden sollte, wie auch Barack Obama scharf gegen die Verschlüsselung geschossen. Eine international konzertierte Aktion also, die den Auftakt bilden könnte zu einem neuen "Crypto War"  (siehe Kasten unten). So nannte die Hackerszene in den Neunzigerjahren den Feldzug vor allem der US-Regierung gegen die Verschlüsslung selbst.

Die Bedeutung von Verschlüsselung wird von der Öffentlichkeit stark unterschätzt, weil sie auf den ersten Blick an komplizierter Ödnis nur noch vom Sammelband "1000 Jahre deutsche Steuerfachliteratur" übertroffen wird. Auf den zweiten Blick aber existieren verfassungsgarantierte Rechte in der digitalen Sphäre nicht ohne Verschlüsselung. Verschlüsselung ist damit gleichbedeutend mit Privatsphäre, mit Schutz vor Manipulation - und mit der Sicherheit der Gesellschaft selbst.

Wenn der Innenminister also die Aushöhlung der Verschlüsselung fordert, fordert er weniger Sicherheit (am 20. August 2014 schien er das auch noch zu wissen). Es ist nämlich so, dass ab Werk eingebaute Löcher in der Verschlüsselung nicht allein von "befugten" Behörden benutzt werden können - sondern von jedem.

Genau das ist auch schon oft passiert, denn der Missbrauch technischer Möglichkeiten darf in der digitalen Welt nicht als Ausnahme, sondern muss stets als Standard betrachtet werden. Die Schwächung von Verschlüsselung ist immer auch die Schwächung der Verschlüsselung der Steuerung von Atomkraftwerken.

Digitale Attacke auf ein deutsches Stahlwerk

An dieser Stelle lohnt es, nicht die Digitale Agenda, sondern ein vor Weihnachten vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) veröffentlichtes Papier zu analysieren: den Lagebericht 2014 . Punkt 3.3.1 beinhaltet die Beschreibung einer digitalen Attacke auf ein deutsches Stahlwerk . Die Angreifer verhinderten sogar, dass ein Hochofen heruntergefahren werden konnte: 1000 Tonnen glühender, flüssiger Stahl außer Kontrolle. Wie "Wired" schreibt , handelte es sich um den weltweit ersten digitalen Angriff auf ein ziviles System, das schwerwiegenden Sachschaden verursacht hat. Davor gab es nur Stuxnet.

Inzwischen ist das Netz so tief eingedrungen in sämtliche Steuerungsbereiche von Wirtschaft und Gesellschaft, dass ausreichend starke Verschlüsselung der einzige Schutz ist vor - digitalem Terrorismus. Der, das BSI liefert den Beweis, seit 2014 nicht mehr "nur" Nullen und Einsen verquirlt, sondern dingliche Folgen hat. Ein digitaler Terrorangriff mit Toten ist nicht länger Science-Fiction, und der Schutz davor führt über Verschlüsselung. Und weil das Schicksal den irrwitzigsten Sinn für Ironie hat, wurde der Bericht des BSI von Innenminister de Maiziere selbst vorgestellt.

August: Verschlüsselungsweltmeister sein wollen.

Dezember: Gefahr des nur durch Verschlüsselung abwendbaren Digitalterrorismus beweisen.

Januar: Verschlüsselung schwächen wollen.

Wenn jemand noch eine Anleitung zur Zerstörung von Vertrauen in die Parteiendemokratie brauchen sollte, hier ist sie.

tl;dr

Die Abkehr der Bundesregierung von der Verschlüsselung ist ein Skandal, gefährlich und stilbildend für den Vertrauensverlust in Politik.

Kurz erklärt: Crypto Wars
Foto: Corbis

In den USA begann der Kampf gegen Volksverschlüsselung schon in den Neunzigerjahren. Er wurde mit einem Gesetzesvorschlag im US-Senat eröffnet. Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste sollten verpflichtet werden, Behörden die Möglichkeit zum Zugriff auf jede Art elektronischer Kommunikation zu verschaffen. Das Gesetz scheiterte schließlich am Widerstand von Bürgerrechtlern und Industrie. Aber es motivierte einen Softwareentwickler namens Phil Zimmermann dazu, sich über Verschlüsselung für jedermann Gedanken zu machen. Zimmermann entwickelte den Standard PGP (das steht für pretty good privacy, ziemlich guter Datenschutz), mit dem bis heute E-Mails und anderes sicher verschlüsselt wird. Sogar NSA-Enthüller Edward Snowden empfiehlt PGP.1991 stellte Zimmerman seine Software kostenlos zur Verfügung. Dann wurde ein Verfahren gegen ihn eröffnet, das sich drei Jahre hinzog. Der Vorwurf: Er exportiere Verschlüsselungstechnologie, die wie Waffentechnologie einzustufen sei. Der Fall wurde fallengelassen, und heute gilt weder der Export noch die Benutzung von Kryptografie-Technik in den USA als Verbrechen. Doch das wurde nur auf Druck von Bürgerrechtlern erreicht. Etwa um die gleiche Zeit machte die NSA einen eigenen Vorschlag, um ihr Verschlüsselungsproblem zu lösen: Hersteller von Telefonanlagen sollten einen von der NSA entwickelten Chip zur Verschlüsselung einsetzen. Der Trick: Für diesen sogenannten Clipper Chip gab es einen Nachschlüssel, auf den der Geheimdienst oder Strafverfolger bei Bedarf hätten zugreifen können. Das Projekt wurde heftig kritisiert und verschwand gegen 1996 sang- und klanglos von der Bildfläche. Mittlerweile verschafft sich die NSA Hintertüren auf anderem Weg.